23. Dezember 2022 / Aus aller Welt

Weniger Nachwuchs: Klimakrise trifft Schwedens Elche

Elche gehören zu Schweden wie Zimtschnecken und Abba. Doch die Klimakrise geht nicht spurlos an den Tieren vorbei. In Südschweden könnte es immer weniger von ihnen geben. Und das ist nicht die einzige Folge.

Ein Elchbulle steht im Wildtierpark Öster Malma in Schweden.

Über den verschneiten Dächern Stockholms ragt das Geweih von Zilke in die Höhe. Älvira liegt zwischen Tannenzweigen im Schnee. Der Elchbulle und die Elchkuh leben im Freilichtmuseum Skansen, von dem man einen umwerfenden Ausblick auf die verschneite schwedische Hauptstadt hat. Bei den frostigen Temperaturen zur Winterzeit fühlen sich die Elche besonders wohl.

Doch die Temperaturen steigen. Der Klimawandel macht auch vor dem tendenziell kühlen Skandinavien nicht Halt. In Schweden ist es nach Angaben der meteorologischen Behörde SMHI seit Ende des 19. Jahrhunderts fast zwei Grad wärmer geworden. Das hat auch Folgen für die Elche, die man in Deutschland mit Schweden verbindet wie Pippi Langstrumpf, Abba und Ikea.

Anders als ihre Artgenossen in freier Wildbahn leben der dreijährige Zilke und die ein Jahr jüngere Älvira in Skansen zwar geschützter, ohne Feinde und Futterneid - doch vor der Klimakrise kann sie keiner so einfach bewahren. «In Schweden haben wir Auswirkungen auf die Elchpopulation gesehen», sagt ihr Pfleger Victor. Gerade sommerliche Hitzewellen, wie sie vor allem der Süden des Landes in den vergangenen Jahren mehrmals gesehen habe, täten den Tieren nicht gut.

Im Sommer mögen Elche maximal 15 Grad

Die Kälte dagegen mögen Elche. Sie ist laut Anders Nilsson vom schwedischen Jagdverband entscheidend für die Tiere. Als Nilsson vor sein Büro im ländlich gelegenen Wildtierpark Öster Malma etwa 70 Kilometer südwestlich von Stockholm tritt, reicht ihm der Schnee bis zu den Knöcheln. Die niedrigen Temperaturen schaffen gute Bedingungen für die fünf Elche, die hier zu Hause sind. Im Winter mögen sie es nicht wärmer als fünf Grad, im Sommer sollten es nicht mehr als 15 Grad sein, sagt Nilsson. Im wärmeren Süden Schwedens könnten es die Tiere mit steigenden Temperaturen in Zukunft schwerer haben.

Der Klimawandel beeinflusst laut dem Wildtierforscher Hendrik Bluhm auch die Qualität des für die Elche verfügbaren Futters. Die Vegetationsperiode verschiebe sich und passe nicht mehr so gut mit der Geburtszeit der Elchkälber zusammen, sagt der Forscher vom Geographischen Institut der Humboldt-Universität Berlin. Wenn die Mütter eigentlich Futter mit bester Energie bräuchten, seien die Pflanzen nicht mehr ganz so frisch und nährstoffreich.

Eine Folge: Insbesondere im Süden Schwedens wiegen die Kälber weniger, wie Nilsson berichtet. Selbst die ausgewachsenen Tiere, die bis zu einer halben Tonne schwer werden können, würden nicht mehr so groß. «Wenn sie an Körpergewicht verlieren, sind sie in der Regel weniger fortpflanzungsfähig, und das ist auf lange Sicht natürlich ein Problem», sagt der Schwede. Eine junge, gesunde Elchkuh bekomme in der Regel ein Kalb, wenn sie zweieinhalb Jahre alt sei. Gehe es ihr gesundheitlich schlechter, könne dies aber erst mit vier oder fünf Jahren der Fall sein.

Auch zahlenmäßig werden es weniger Tiere

Nicht nur die Größe der Jungtiere, sondern auch ihre Anzahl nimmt nach Angaben des Wildtierforschers Fredrik Widemo in ganz Schweden ab. Das lässt sich zumindest teils auf die Folgen des Klimawandels zurückzuführen. In anderen Regionen der Erde ist Vergleichbares schon passiert: In südlichen Teilen des nordamerikanischen Verbreitungsgebiets gebe es wegen der Klimakrise schon keine Elche mehr, sagt der Forscher von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften. «Es ist wahrscheinlich, dass dies auch in Südschweden der Fall sein wird, wenn es uns nicht gelingt, die derzeitige Entwicklung umzukehren.»

Doch wie gelingt es, diese Entwicklung umzukehren - neben einem entschlosseneren Klimaschutz? Widemo schlägt zum Beispiel vor, mehr Pflanzen wie Heidelbeersträucher und Kiefern zu pflanzen, um den Elchen den Zugang zu Futter zu erleichtern. Sein deutscher Kollege Bluhm führt an, dass in heißen und trockenen Phasen Gebiete wichtig seien, die Abkühlung schaffen, etwa Feuchtgebiete, Seen und dichte Wälder. Die Zeit werde zeigen, «ob es eine absolute harte Grenze gibt, wo es dann nicht mehr geht, oder ob es eben bestimmte Sachen gibt, die jetzt nicht optimal sind, aber die die anpassungsfähigen Tiere weiterhin mitmachen und aushalten können».

Der Elch ist in mancher Beziehung wählerisch. Das sieht auch Tierpfleger Victor bei der täglichen Fütterung. Im Freilichtmuseum Skansen werden die Elche im Winter etwa mit Baumrinde von Kiefern gefüttert. «Als Leckerbissen bevorzugen sie Heidelbeersträucher», sagt Victor. Die Tiere seien nicht sehr experimentierfreudig.

Bis zu 360.000 freilebende Elche in Schweden

Das Freilichtmuseum Skansen hat laut Zoodirektor Tomas Frisk 1,4 Millionen Besucher pro Jahr. Die Hälfte komme aus dem Ausland. Davon machten Touristen aus Deutschland die größte Gruppe aus. Ausländische Besucher seien besonders an den Rentieren und Elchen interessiert, sagt Frisk. Und momentan gibt es davon in Schweden auch in freier Wildbahn noch viele zu sehen: Nach Angaben des Jagdverbands leben in dem Land im Sommer zwischen 240.000 und 360.000 Elche.

Die Klimakrise und ihre Auswirkung auf die Tiere könnten nach Angaben von Nilsson auch den Tourismus beeinflussen: «In ferner Zukunft wird man als Deutscher vielleicht weiter nach Norden fahren müssen, um einen Elch zu sehen.» Denn im Süden Schwedens könnte die Population laut Wildtierforscher Bluhm schrumpfen. Der Grund: Wenn höhere Temperaturen und Extremereignisse wie Dürren oder Hitzeperioden eher Regel statt Ausnahme werden, könnte sich das Verbreitungsgebiet der Elche innerhalb des Landes verkleinern.

Tierpfleger Victor sorgt sich, dass es im südlicheren Schweden eines Tages keine Elche mehr geben könnte. Bei Zilke und Älvira sieht er derzeit aber einen Hoffnungsschimmer: Er vermutet Nachwuchs bei dem Elchpaar. Im Frühling könnte Skansen vielleicht um ein kleines Elchkalb reicher sein.


Bildnachweis: © Demy Becker/dpa
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