20. Oktober 2022 / Aus aller Welt

«Es hilft nichts» - Zweite Halbzeit im Boateng-Prozess

Vor einem Jahr wurde Jérôme Boateng zu einer Millionenstrafe verurteilt, weil er seine Ex-Freundin geschlagen haben soll. Gegen dieses Urteil kämpft er nun vor Gericht.

Jérôme Boateng zu Beginn des Prozesses gegen ihn im Amtsgericht München.

«Es hilft nichts», sagt Richter Andreas Forstner und zuckt ein wenig resigniert mit den Schultern. Dann tritt er ein in die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren gegen Jérôme Boateng vor dem Landgericht München I und befragt die frühere Lebensgefährtin des Fußball-Stars, die angibt, von dem heute 34-Jährigen geschlagen worden zu sein.

Forstner hätte sich selbst und allen Beteiligten «ein umfangreiches und ungutes Verfahren», wie er es nennt, wohl gerne erspart. Doch seine Anregung, das Verfahren «möglichst unproblematisch und ohne großen Aufwand», aber dennoch «sachgerecht» beenden zu können, nimmt Boateng nicht auf.

Den Vorschlag an die Prozessparteien, die Berufung weitgehend zurückzunehmen und nur noch gegen die Rechtsfolgen vorzugehen, also nur noch über die Höhe der Strafe zu verhandeln, lehnt der Fußball-Weltmeister von 2014 ab. Er könne das «mit seinem Gewissen nicht vereinbaren» und dem Vorschlag auch aus Verantwortung seinen Töchtern gegenüber nicht zustimmen.

Angebot ausgeschlagen

Auch wenn die Verhandlung sicher «anstrengend und langwierig» werde, wolle Boateng das Verständigungsangebot nicht annehmen, betonen die Anwälte. Dabei hat Richter Forstner schon zu Beginn der Verhandlung durchblicken lassen, dass er das Urteil des Amtsgerichts, das Boateng 2021 zu einer Geldstrafe von insgesamt 1,8 Millionen Euro verurteilt hatte, für durchaus fundiert hält.

Das Amtsgericht hatte eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30.000 Euro verhängt. 30.000 Euro sind zwar der höchstmögliche Tagessatz, Boateng ist damit aber nicht vorbestraft. Erst ab 90 Tagessätzen gilt man als vorbestraft. Es könne im Berufungsverfahren auch schlechter ausgehen für ihn, sagt der Richter.

Die Staatsanwaltschaft, die in ihrer Anklage von gefährlicher Körperverletzung ausgegangen war, hatte in dem Verfahren eine Bewährungsstrafe von anderthalb Jahren und eine Geldauflage von 1,5 Millionen Euro gefordert - Boatengs damaliger Verteidiger hingegen einen Freispruch.

Aussage verweigert

Boateng, der langjährige Fußball-Nationalspieler, der heute bei Olympique Lyon unter Vertrag steht, will - nachdem er vor einem Jahr noch umfangreich ausgesagt und die Vorwürfe bestritten hatte - nun nichts mehr sagen über jenen Abend in der Karibik im Sommer 2018. «Er bestreitet strafbares Tun, wird sich ansonsten aber nicht zur Sache äußern», sagt einer seiner drei Anwälte.

Und so erzählt zunächst nur die junge Frau, mit der Boateng von 2007 bis 2018 eine «On-off-Beziehung» führte, dann am Donnerstag noch einmal stundenlang von diesem offenbar schicksalhaften Abend vor vier Jahren im karibischen Urlaubsparadies, der mit einem Kartenspiel begann und dann aus dem Ruder gelaufen sein muss.

In einem Luxusressort auf den Turks- und Caicosinseln, in dem sie und Boateng zusammen mit den gemeinsamen Zwillingstöchtern und Freunden ein paar Tage verbrachten, eskalierte die Stimmung - das steht wohl außer Frage. Doch was genau passiert ist, darüber herrscht erklärte Uneinigkeit zwischen den Ex-Partnern.

«Dann hat er mich so ein Stück nach vorne gerissen an den Haaren», sagt die Frau. Boateng habe ihr den Daumen ins Auge gedrückt, ihr mit der Faust in die Flanke geboxt und ihr in den Kopf gebissen, «seine Zähne in meinen Kopf gebohrt». Er habe ihr ins Gesicht gespuckt und sie aufs Übelste beleidigt. Vorher habe er noch eine gefüllte Kühltasche nach ihr geworfen und sie damit am Rücken getroffen.

Nicht die erste Attacke?

Sie betont auch, es sei nicht die erste Attacke dieser Art in der rund elf Jahre dauernden Beziehung zwischen ihr und Boateng gewesen: «In der Vergangenheit sind solche Übergriffe oft passiert.» Sie sei «daran gewöhnt» gewesen, «dass es Gewaltübergriffe gab, dass es toxisch zuging». Die Beziehung sei «geprägt von Streit, geprägt von Untreue, Gewalt, viel Unsicherheiten, wenig Gesprächen und wenn, dann sehr unreif, sehr manipulativ» gewesen.

Ihr Ex-Freund habe sie sogar dazu bewegen wollen, nicht gegen ihn auszusagen, ihr - teils über Dritte - Geld angeboten, ein Auto, ein Haus in München und regelmäßigen Umgang mit den zehnjährigen Töchtern, die beim Vater leben.

Boateng schüttelt bei der Aussage seiner Ex-Freundin mehrfach den Kopf und spricht immer wieder leise mit seinen Anwälten. Ansonsten schweigt er. Seine Anwälte aber lassen in ihrer Befragung der Ex-Freundin keinen Zweifel an der Version, die sie vor Gericht darstellen wollen, fragen immer wieder nach den insgesamt 18 Familienrechtsverfahren, die es im Streit um das Aufenthaltsbestimmungsrecht und den Umgang mit den beiden Töchtern am Amtsgericht gab. «Sie hat alles erfunden wegen familienrechtlicher Bezüge», fasst Richter Forstner die Argumentation der Verteidigung zusammen.

Für den neuen Prozess waren ursprünglich zwei Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil sollte also eigentlich an diesem Freitag fallen. Weil Boatengs Verteidigung aber beantragt hat, alle Akten aus den Familienrechtsverfahren zum aktuellen Prozess hinzuzuziehen und auch die Nebenklägerin womöglich noch einmal zu befragen, gibt es große Zweifel daran, dass der Prozess wirklich nach zwei Tagen zu einem Ende kommen kann.

«Wir haben viel Zeit», sagt der Richter konsterniert. «Wenn es denn sein soll, werden wir uns die Zeit nehmen.»


Bildnachweis: © Peter Kneffel/dpa
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